Es ist mittlerweile über 1 1/2 Jahre her, dass ich von der wunderbaren Denise von Passion Phoenix einen Maßschnitt für einen Mantel erhalten habe. Das war ihr Geburtstagsgeschenk für mich.
Laut Routenplaner liegen zwischen uns rund 650 km (kürzeste Strecke). Das machte es für uns fast unmöglich (finanziell, zeitlich) mal kurz für einen Maßschnitt das Land zu wechseln um Maß zu nehmen. Darum musste sie sich voll und ganz darauf verlassen, dass ich geübt genug bin um an den richtigen Stellen Maß zu nehmen.
Es dauerte nicht lange und der Postler klingelte an meiner Tür, da der Umschlag nicht in meinen Briefkasten passte. Ich war baff, als ich ihn entgegennahm. Kannte ich doch bislang nur die Schnitte von Burda & co. Oder die selbstgedruckten. Die lassen sich wunderbar klein zusammenfalten und enthalten im Normalfall sogar mehr als nur einen Schnitt in einer Größe. Als ich den Schnitt dann auspackte, fiel ich aus allen Wolken. Sie hatte absolut jeden meiner Wünsche umgesetzt!
Bevor ich ihr die Maße übermittelt hatte, bat ich sie darum, den Schnitt so zu gestalten, dass er variabel ist. Folgendes sollte er können:
- Color-/Materialblocking (Ärmel und Seitenteile sollten so gestaltet sein, dass ich sie in anderen Farben oder aus anderen Materialien entwerfen konnte)
- ein- und zweireihig
- Länge ca. mitte Oberschenkel aber mit der Möglichkeit zu verlängern
- aufgesetzte Taschen
- Schulterklappen
- Ärmelriegel
- Rückenriegel
- fütterbar
Sie hat den Mantelschnitt so entworfen, dass es mir möglich sein wird, ihn zu füttern (es müsste sogar möglich sein, ein Tinsulate-Futter unterzubringen) bzw. ihn so zu nähen, dass ich gegebenenfalls auch noch so etwas wie einen Pullover darunter ziehen könnte.
Die Einzelteile, aus denen der Schnitt besteht, hauten mich förmlich um. Ich habe schon einige Dinge in meinem Leben genäht, aber noch nie etwas so Komplexes. Ich war schlicht überfordert. Deni hatte mir zwar gesagt, dass ich sie zu jeder Zeit um Hilfe bitten könnte und sie mir gegebenenfalls eine Anleitung dazu schreiben würde, aber mal ehrlich: ich war viel zu eingeschüchtert.
Ich wusste damals schon grob aus welchen Materialien ich den ersten Mantel nach diesem Schnitt gestalten wollte. Und hatte noch mehr Schiss da irgendwas zu verbocken. Also wanderte der Schnitt erstmal in meinen Stapel der zu erledigenden Schnitte. Ich muss ehrlich gestehen: Er lag ganz unten. Das war einmal dem Format geschuldet und an zweiter Stelle der Tatsache, dass ich meine Nähkünste erst verbessern wollte. Dazu gehörte der Umgang mit der Overlock ebenso wie das vernünftige Säumen mit der Zwillingsnadel. Ich wollte mich an weitere Materialarten wie Jersey wagen bevor ich mich an diesen Mantel setzte.
In der Zwischenzeit sind viele Projekte angelaufen. Dazu zählt mein erstes Schnittmuster, das sich in den Schlusszügen befindet und von meinen Probenähern fleißig verarbeitet wird, sowie verschiedene Babymoden für mein Patenkind. Auf halbem Weg zum Mantel gab dann auch noch meine Nähmaschine den Geist auf (möge sie in Frieden ruhen) und Mister X brachte mir seine, die ihm beim Nähen von Fallschirmen herausragende Dienste erwiesen hatte.
Nachdem die Lady Gritzner bei mir eingezogen war, ging es dann auch schon weiter. Ich freundete mich mit dem manchmal doch sehr zickigen Material Jersey an – sowohl Baumwoll- als auch Viskosejersey – und verarbeitete Sweat. Meine erste komplexere Handtasche fand ihren Weg in meinen mickrigen Taschenfundus, wodurch ich dann auch das erste Mal Kunstleder verarbeitete. Ich setzte mich an Wachstuch – und bin immer wieder begeistert, mit welcher Souveränität meine Gritzner die unterschiedlichsten Materialien und -stärken verarbeitet.
Schlussendlich wagte ich mich zum x-ten Mal an meine Overlock. Diese fristete seit über zwei Jahren ihr Dasein auf dem Dachboden. Davor war sie über vier Jahre auf dem Dachboden ihrer Vorbesitzerin gewesen. Die Maschine kam quasi neu in meinen Fuhrpark, war unbenutzt und wurde auch von mir eher stiefmütterlich behandelt. Mittlerweile möchte ich sie nicht mehr missen.
Ich fand es immer wieder seltsam, wenn mir die Leute erzählten, dass sie ein einfaches Shirt ohne viel Brimborium in unter einer Stunde genäht bekommen – inkl. Schnittmuster übertragen, zuschneiden und säumen.
Dank der Overlock kann ich das mittlerweile genauso schnell. Das Mühseligste am Nähen ist in der Zwischenzeit wirklich das Übertragen des Schnittmusters.
Und nun stand ich da. Ich hatte alles, was ich mir vorgenommen hatte, erledigt. Der Stapel der zu nähenen Sachen wurde nur größer und nicht kleiner – denn mit dem Wissen steigt natürlich auch der Wunsch nach immer mehr tollen Sachen. Ich war jetzt auch schon soweit, dass ich anderen guten Gewissens das Nähen beibringen konnte. Was hinderte mich also noch daran, mich endlich an das Schnittmuster des Mantels zu wagen? Eigentlich nichts.
Also setzte ich mich die Tage hin und suchte einen Probestoff aus. Aus meinem Bekanntenkreis war eine begnadete Näherin verstorben, die mir einiges ihrer Materialien hinterlassen hatte. Unter anderem kilometerweise Lakenstoff. Dieser eignet sich hervorragend für Probestücke, die nicht elastisch sein müssen.
Im ersten Go war ich dann natürlich immer noch überfordert. Der Schnitt war sehr komplex und auch Denis Handschrift trug nicht unbedingt zum besseren Verständnis bei. Zu meinem Glück hatte sie dem Schnitt auch noch den Entwurfsbogen beigelegt. Dadurch erschloss sich mir dann so einiges. Es gab allerdings nach wie vor Dinge (wie z.B. der Kragen), die sich meinem Verständnis entzogen. Anstatt den Schnitt wieder wegzulegen, begann ich mit dem Zuschnitt. In der ersten Runde wollte ich es mit einem einreihigen Mantel probieren. Ich hatte die vage Hoffnung, dass ich den Rest des Schnittes beim Zusammensetzten der einzelnen Teile besser verstehen würde. Nach dem Zuschnitt war ich allerdings immer noch keinen Deut schlauer.
Ich war kurz davor Deni eine SMS zu schicken, mit der Bitte um Hifestellung. Dann war aber mein Trotz geweckt. Das konnte doch nicht so schwer sein! Tausende Menschen vor mir haben bereits Schnitte ohne Anleitung zusammengesetzt. Da würde ich ja wohl nicht daran scheitern!
Ich krempelte also die Ärmel hoch, schnappte mir Stecknadeln und Schneiderpuppe und begann die Teile zusammenzustecken, die mir von Anfang an schlüssig vorkamen – wie z.B. die Rücketeile, oder die Seitenteile. Das ging relativ schnell. Auch das Feststecken an der Puppe entpuppte sich als einfacher als gedacht (bislang stand Püppi nur Modell um meine Kreationen und Entwürfe zu demonstrieren).
Schnell stellte sich aber heraus, dass es nicht beim stecken bleiben würde. Hatte ich noch gehofft, dass ich das Nähen umgehen können würde, musste ich feststellen, dass ich nicht drumherum käme. Also verschwand ich mit den ersten Schnittteilen im Nähzimmer und begann sie zusammen zu setzen.
Ich verbrachte Stunden meines Lebens damit zu stecken und zu nähen, aufzutrennen, zu fluchen und weiterzunähen. Rammsteins “Sehnsucht”-Album war mir dabei eine großartige Unterstützung! Zwischendurch musste ich dann feststellen, dass die Lady Gritzner doch nicht so unzickig war, wie ich ursprünglich dachte. Sie hasst billige Nadeln. Es ist ihr völlig gleichgültig, welches Garn ich verwende. Es kann noch so alt und brüchig oder billig sein, sie nimmt es dankbar. Aber sobald die Nadel nicht 100% zum Stoff passt oder auch nur ein μ stumpf geworden war, begann sich das Garn zu verheddern, Knoten/Schlaufen zu bilden, der Stoff wurde von der Maschine regelrecht “gefressen” und sie hörte sich an, als würde sie mir jeden Moment um die Ohren fliegen. Bis ich dahintergestiegen bin, dass es an der Nadel liegen könnte, war der Nahttrenner bereits mein bester Freund geworden.
Schlussendlich schaffte ich es dann aber auch die Maschine zu beruhigen und bei den verbliebenen Schnittteilen durchzusteigen. Damit ich später beim geplanten Stoff nicht das selbe Problem haben würde, machte ich mir Notizen zu den einzelnen Schnittteilen.
Die weiteren Teile wie Riegel, Taschen, etc. steckte ich für den ersten Go nur fest. Sie sollen die Position veranschaulichen und mir die Weiterarbeit am Stoff ermöglichen.
Am Freitag ist bei uns in Stuttgart Stoffmarkt Holland. Dort werde ich nach weiteren Zutaten für den Mantel suchen und dann kann es weitergehen.
Folgendes steht noch an:
- Zuschnitt Mantelstoff
- Kauf Futterstoff
- Zuschnitt Futterstoff
- Knöpfe kaufen
- Nähen, nähen, nähen
Den Matel werde ich aus Wollstoff mit Kaschmir un meliertem Dunkelgrau fertigen. An Futterstoff dachte ich an Tinsulate mit Futtertaft in dunkelgrün oder petrol (je nachdem was ich auf dem Stoffmarkt finde). Knöpfe möchte ich etwas im Vintagestil oder maritime Muster. Dafür werde ich entweder auf dem Stoffmarkt fündig, oder ich werde Goldknopf (ebenfalls Stuttgart) aufsuchen. Evtl. finde ich ja auch etwas Passendes im Internet.
[…] Moment arbeite ich an meinem Mantel von Passion Phoenix. Außerdem liegen in meinem Arbeitszimmer noch gefühlt hundert […]