Vergiss nie, dass ich dich liebe – Teil 2

Und weiter gehts!

Die Tatsache, dass er sich mit diesen Frauen traf, löste eine Veränderung in mir aus. Sie brachte mich dazu, mich abends wieder an mein Klavier zu setzen und zu spielen. Etwas, das ich seit dem Tod meiner Frau lange nicht mehr getan hatte. Ich spielte wieder Mozart und Beethoven. Früher hatte ich immer an meine Frau denken müssen und daran, wie ich sie blutüberströmt in ihrem zerquetschen Auto liegen sah. Doch jetzt musste ich daran denken, wie dieser Mann, dieser so wunderschöne Mann, an jedem seiner Arbeitstage mit einer dieser Frauen verschwand.

An jenem verhängnisvollen Abend stand ich vor meinem Kleiderschrank und überlegte fieberhaft, was ich anziehen sollte. Meine beste Freundin hatte mir geschworen, dass wir demnächst eine Shoppingtour machen würden. Aber ich war ein Einkaufsmuffel, so hatte es sich also noch nicht ergeben neue Klamotten kaufen zu gehen. In diesem Moment vor meinem Kleiderschrank bereute ich es zutiefst, nicht mit Emily shoppen gegangen zu sein.
Aus irgendeinem Grund benahm ich mich wie ein 16-jähriger Teenager kurz vor seinem ersten Date.
»Du gehst doch nur in diesen Club.«, sagte ich zu mir selbst. »Sonst nichts.«
Doch so einfach war es leider nicht. Ich würde ihn wieder sehen. Zwei Tage war ich daheim rum gesessen, weil ich genau wusste, dass er frei haben würde.
»Beruhig dich endlich!«, schimpfte ich mit meinem Spiegelbild, zerrte ein ärmelloses, schwarzes Shirt aus dem Schrank, nur um es im nächsten Moment in eine Ecke zu pfeffern.
Wie um mir zu zeigen, dass ich nicht schon gestresst genug war, klingelte in diesem Augenblick das Telefon. Ich schrak zusammen, ließ das dunkelblaue T-Shirt fallen, das ich gerade aus dem Schrank gezogen hatte und hechtete über das Bett. Mit einem leisen Zischen entwich die Luft aus meinen Lungen, als ich hart auf meiner Matratze landete. Fast wäre ich aus dem Bett gefallen, als ich während der Landung versuchte nach dem Telefonhörer auf dem Nachttisch zu greifen.
»Ja?«, keuchte ich in den Hörer und schnappte nach Luft.
»Chris? Ich bin’s, Emily.«, ertönte die Stimme meiner besten Freundin.
Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein Seufzen entwich. So sehr ich diese Frau auch mag, manchmal rief sie in den ungünstigsten Momenten an.
»Würdest du mir bitte aufmachen? Ich glaube, du hast wieder den Schlüssel stecken lassen.«, meinte sie.
Da fiel mir auf, dass scheinbar schon seit fünf Minuten jemand vergeblich an meiner Haustür rüttelte. Ich grinste.
»Ja, warte, ich komm runter.«, erwiderte ich, legte ohne ein Wort des Abschieds auf und kroch vom Bett.
Dann ging ich aus dem Schlafzimmer in den Flur und die Treppen runter. Durch den geriffelten Glaseinsatz in meiner Haustür konnte ich Emilys Schemen erkennen. Sie wechselte von einem Fuß auf den anderen. Sie wirkte, als müsste sie dringend auf die Toilette, oder als wäre sie nervös. Ich konnte es mir nicht wirklich erklären. Dennoch musste ich grinsen. Warum sollte es ihr besser gehen als mir? Schließlich war sie meine beste Freundin und mir war es nur recht, wenn sie auch nur ein klein wenig so litt wie ich. Immerhin hatten sie und ich uns in den vergangenen beinahe dreißig Jahren oft genug auch ohne Worte verstanden. Vielleicht spürte sie ja auch, dass ich nervös war. Und das färbte auf sie ab. Zuzutrauen wäre es uns jedenfalls. Und sonderlich neu oder irgendwie seltsam wäre auch nicht. Schließlich betraf es ja mich und Emily. Mein Grinsen wurde bei dem Gedanken daran nur noch ein bisschen breiter. Vielleicht war ja auch nur etwas in ihrem Leben passiert, dass sie ein wenig verunsicherte. Wie dem auch sei. Ich würde es gleich erfahren.

Ich öffnete ihr die Tür und ehe ich mich versah, hatte ich eine zierliche, dunkelhaarige Frau an meinem Hals hängen, die mich fast umwarf. Auch wenn Emily gut ein bis zwei Köpfe kleiner war als ich, war sie ein sehr quirliger Mensch.
»Oh Chris, gut, dass du da bist.«, rief sie aus, ließ von mir ab und stürmte in mein Haus.
»Hallo, ja mir geht’s gut und dir?«, fragte ich die noch immer offen stehende Haustür.
»Ja, ja, schon gut. Jetzt komm endlich, ich muss dir was erzählen.«, rief sie aus meinem Wohnzimmer.
Ich machte die Haustür zu und verdrehte die Augen. Eigentlich wollte ich in zwanzig Minuten los. Denn in einer halben Stunde würde die Schicht des absolut attraktivsten Mannes auf Erden beginnen.

Anschließend gesellte ich mich zu Emily ins Wohnzimmer.
»Was wolltest du mir erzählen?«, fragte ich sie lustlos.
»Du wirst es nicht glauben… Sag mal, warum hast du nur ein Handtuch um?«, unterbrach sie sich selbst.
Ich sah an mir herunter und stellte fest – sie hatte Recht. Ich hatte wirklich nur ein Handtuch um. Natürlich. Schließlich war ich frisch aus der Dusche gekommen und wollte mich fertig machen, damit ich in den Club gehen konnte.
»Na ja, ich möchte eigentlich noch fort gehen.«, sagte ich und biss mir im nächsten Moment auf die Zunge.
Fehler.
Meiner.
Wenn ich nachher in den Club gehen wollte, dann wollte ich da auch alleine sein. Ich wollte mich in Ruhe den Gefühlen hingeben, die dieser Mann bei mir auslöste, die Eifersucht, die Freude, das Herzklopfen. All das wollte ich allein erleben, ohne, dass Emily bei mir saß und mich fragte, was los war.
»Hast du was dagegen, wenn ich mitkomme? Ich möchte dir dringend was erzählen. Außerdem siehst du so aus, als brennt dir auch was auf der Seele.«

Ich stöhnte innerlich. Das hatte mir gerade noch gefehlt, eine Pseudopsychiaterin auf den Spuren meiner Seele.
»Nein, bei mir ist alles in Ordnung. Aber würde es dich stören, wenn wir nach oben gehen? Dann kann ich mich nebenher noch fertig machen.«, schlug ich vor und stand auf.
Emily nickte und erhob sich ebenfalls, dann gingen wir zusammen in mein Schlafzimmer. Als ich durch die Tür trat, traf mich fast der Schlag. Hatte ich ein paar Minuten zuvor wirklich so ein Chaos angerichtet? Es schien fast so.
Ein Seufzen entwich meinen Lippen. Zum Aufräumen hatte ich jetzt weder die Lust noch die Zeit. Also stellte ich mich abermals vor den Kleiderschrank und begann meine restlichen Klamotten durchzuwühlen. Emily erzählte mir unterdessen von einem Typen, den sie über das Internet kennen gelernt hatte. Sie hatten sich offenbar schon ein, zweimal getroffen und er musste scheinbar ein ganz sympathischer Typ sein. Er hatte sie gefragt, wie spontan sie sei und sie hatte, in ihrem kopflosen Eifer, gesagt, dass es keinen spontaneren Menschen als sie gäbe. Daraufhin hatte er sie auf die Malediven eingeladen und sie hatte zugesagt. Jetzt bekam sie ein ungutes Gefühl.
»Hör mal Em, wenn du dich nicht auf etwas einlässt, dann findest du nie einen Kerl.«, erklärte ich ihr aus dem Schrank.
Ausgerechnet ich musste ihr Ratschläge geben, traute ich mich doch selbst nicht einen Mann anzusprechen. Ich war Gott froh, dass ich mich nicht selbst sehen konnte. Was würde ich nur für ein lächerliches Bild abgeben, ich, wie ich mit meinem halben Oberkörper in meinem Kleiderschrank steckte auf der Suche nach ein paar halbwegs vernünftigen Klamotten und meiner besten Freundin versuchte klarzumachen, dass sie nur gewinnen konnte, wenn sie etwas riskierte. Dabei war doch eigentlich ich derjenige, der Hilfe brauchte.
»Chris, ich weiß ja nicht, wo du hingehst, aber wie wäre es damit?«, riss mich Emily aus meinen Gedanken.
Ich kroch aus dem Schrank und wand mich ihr zu. Irgendwie hatte sie das ultimative Talent es innerhalb von fünf Minuten zu schaffen, was ich in zweistündiger Arbeit nicht fertig gebracht hatte: Sie hatte mir ein vollständiges Outfit gezaubert.

Staunend schloss ich meinen Mund wieder und begann mich anzuziehen. Emily hatte einen wahrlich guten Geschmack. Sie hatte mich kurzerhand in eine knallenge schwarze Jeans verfrachtet. Dazu das ärmellose Shirt, das ich zuvor achtlos in eine Ecke geschmissen hatte. Dann hatte sie mir noch das Lederband von der Kommode genommen, welches ich mir jetzt um den Hals legte. Emily stand auf und kam auf mich zu. Kurzerhand fuhr sie mir durch meine Haare und brachte mir die zuvor so sorgsam gekämmten Strähnen durcheinander. Jetzt sah ich aus, als wäre ich direkt aus dem Bett geklettert.
»Perfekt.«, meinte sie und begutachtete ihr Werk.
Ich drehte mich zu meinem Spiegel und staunte nicht schlecht. Wie schaffte sie es nur, aus einem Haufen wahllos durcheinander geworfener Klamotten ein perfektes Outfit zu zaubern? Die Antwort auf diese Frage blieb mir wieder verwehrt. Aber zumindest war ich nun startklar.

 

Ride on – 1. Buch | Kapitel 1 “Vergiss nie, dass ich dich liebe!”

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